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#13 Eine Zugfahrt in die Wolken

Von Salta aus startet einmal die Woche ein ganz besonderer Zug: Der Tren a las Nubes.

Und was ist das Besondere? Dass er nach 17 Stunden Fahrt wieder in Salta endet? Nein, das Besondere ist die Strecke hoch in die Anden, 217 km Richtung Chile, auf einer Höhe von 1200m startend, langsam über ein bauliches Meisterwerk bis auf 4200 m Höhe rollend.

Die Querung der Anden war und ist eine Herausforderung. In den 1920er Jahren wurde eine Eisenbahnstrecke von Salta bis an die Pazifikküste gebaut. Initiiert wurde der Bau von Eisenbahntrassen häufig für den Materialtransport von und zu Minen. Ist die Mine einmal ausgebeutet, steht auch das Überleben der Eisenbahnverbindung auf dem Spiel.

So steht auch das Überleben des Tren a las Nubes immer mal wieder auf wackeligen Gleisen, denn es gibt kaum noch Zugverkehr, der die Instandhaltung der Infrastruktur finanziert.

Es bedeutet also viel Enthusiasmus, den Tren a las Nubes am Rollen zu halten. Diesen spüren wir auch gleich, als wir frühmorgens am Bahnhof eintreffen. In unserem Waggon werden wir freundlich von zwei Zugbegleiterinnen empfangen, die uns für die nächsten 17 Stunden mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Um sieben startet der Zug und rollt mit max. 35 km/h durch die Ebene von Salta. Begleitet wird der Zug von zwei Pickups, die jeden Bahnübergang sichern. Auch fährt ein Ambulanzwagen die ganze Strecke mit, denn viele Gäste sind nicht höhenadaptiert und auf 4000m kann schon mal der Atem knapp werden. Um dem vorzubeugen, erhalten wir alle auch den Hinweis, ab 13 Uhr nicht mehr groß zu essen und die Finger vom Alkohol zu lassen. Hmmm, unser Picknickkorb ist aber gut gefüllt, und wir schmunzeln uns an, um unsere Höhenfittness wissend.

Der Zug rollt in den ersten Canyon. Kaum über der ersten Brücke winkt uns an einer Kehre eine begeisterte Menge zu: Wir werden von Zugfans begleitet! Wer möchte, kann den Tren a las Nubes auch von aussen "erfahren". Zahlreiche Unternehmen bieten Bustouren von Salta aus an.

Die Gleise verlaufen nun parallel zur Strasse und wir werden Zeugen eines Wettrennens der Busse untereinander und dem Zug, bis wir zu einem ganz besonderen Stop kommen: Dem Zick-Zack.

Hier ist die Steigung so groß, dass keine Schleife hilft. Der damalige Bauingenieur Richard Maury schaute sich die Lösung bei den Ziegen ab, die in Zick-Zack-Pfaden die Hänge hoch und runter wandern. Er verlegte die Gleise in Form eines Z an den Höhenzug.

Am Anfang des Z muss die Lok umgekoppelt werden, damit der Zug das Z hochgeschoben werden kann. Dieser Zeitpunkt des "Stillstandes" ist High-Noon für die Zugfans, die mit den Bussen herbeigeströmt kommen. Viele lichten sich zusammen mit dem Zug ab.

Weiter geht es aufwärts, auch über riesige Schleifen und durch zahlreiche Tunnel, um die Höhe zu überwinden. Vorbei an Kakteen, bis es auch für diese zu hoch wird.

Eine Zugfahrt macht hungrig. Eine Zugfahrt macht durstig. Wir öffnen unseren Picknickkorb. So eine schöne kräftige Stulle zusammen mit Cerveza Salta Negra stärkt die Lebensgeister. Da wir bereits über 3000m sind, werden wir ein wenig besorgt von unseren Zugbegleiterinnen gemustert. Wir lächeln zurück.

Während der ganzen Hinfahrt erklären die Begleiterinnen auch die Umgebung, durch welche der Zug gerade fährt. Jetzt, jenseits der Höhe, wo sich die Kakteen wohlfühlen, wachsen für das ungeübte Auge nur noch Sträucher. Doch diese Sträucher sind Kräuter. In der richtigen Mischung helfen sie dem Manne. Ahmmm. Und in der anderen Mischung helfen sie dem Weibe. Aaaaha! So dozieren unsere Begleiterinnen, sich der Aufmerksamkeit aller gewiss, Proben der Kräutergemische herumreichend.

Am frühen Nachmittag haben wir den berühmten End- und Kehrpunkt der Zugfahrt erreicht. Das höchstgelegene Viadukt der Welt. Das Polvorilla Viadukt ist 63m hoch und 224m lang. Der Zug rollt drauf, stoppt, alle Fahrgäste lehnen sich gefährlich weit aus den Fenstern für das ultimativ beste Photo.

Langsam kehrt der Zug um und hält vor dem Viadukt. Alle steigen aus, neugierig besichtigen wir das Bauwerk, als die argentinische Hymne ertönt. Viele Gäste sind Argentinier und singen begeistert mit.

Von nun an geht es wieder auf gleicher Strecke zurück nach Salta. Die vielen Stunden möchten gefüllt sein. Mit einem Unterhaltungprogramm.

Nun beginnt der gefährliche Teil der Reise!

Kaum geht die Sonne unter, startet das Karaoke-Programm. Neunzig Prozent der Gäste im Waggon johlen begeistert, wir gehören zu den schockerstarrten zehn Prozent. Langsam entspannen wir uns, denn die Teilnahme ist ja wohl freiwillig. Doch Sitzreihe für Sitzreihe nähert sich uns das bedrohliche Mikrofon, ohne dass ein Gast ablehnt.

Wir sind dran. Nur Heike hat eine Gesangsausbildung. Rein zufällig ist sie gerade ihr Näschen pudern. Die Zugbegleiterin fordert uns fröhlich nachdrücklich auf, unser Ständchen zu geben. Alle Gäste im Waggon johlen unterstützend. Jana und Tovo, mit dem Rücken zum Geschehen sitzend, sinken noch tiefer in ihre Sitze. Ich stiere mit meinem norddeutschen Windstärke 12 Gesicht die Menge an und signalisiere eindeutig: NEIN!

Die Menge beruhigt sich, der Kelch geht an uns vorbei. Hoffentlich fahren auch mal gesangesfröhliche Rheinländer im Zug mit und rücken das Bild von den stoffeligen Deutschen zurecht.

Kaum haben wir uns von diesem Schock erholt droht die nächste Gefahr.

Der Zauberkünstler zaubert seine weiße Taube hervor. Sie denkt nicht dran, auf seiner Hand sitzen zu bleiben und flattert los, einen sicheren Landeplatz suchend. Diesen findet sie erst auf Janas Kopf.

Auf diesen kleinen Schock folgt der Nächste.

Die Musikkombo tritt in den Waggon und verteilt sich entlang des Ganges. Die Panflöte ist genau zu meinem rechten Ohr. Wir betteln insgeheim: "Bitte nicht El Condor Pasa" und werden nicht erhört. Die Kombo weiss genau, was Touristen wünschen und intoniert voller inbrunst das Lied. Ich hör nur die Panflöte. Bis heute. Wenn mich mal ein kleiner Tinnitus plagt.

Um 23 Uhr kommen wir heil und gesund in Salta an und können nur jedem, der hier mal vorbeikommt, diese Zugfahrt ans Herz legen.

Doch wir haben gewarnt. Vor dem Unterhaltungsprogramm auf der Rückfahrt.

Für Jana und Tovo endet nicht nur der Zug in Salta. Ihr Urlaub ist zu Ende. Damit der Rückflug über Buenos Aires nicht zu langweilig wird, hat sich die Argentinische Regierung für die Beiden ins Zeug gelegt.

Ultrakurzfristig hat das Parlament die Sommerzeit abgeschafft und dadurch die Umstiegszeit zwischen Inlands- und Transatlantikflug auf ein kribbelndes Maß verkürzt.

Es sei verraten: Sie schaffen es! Dank einem Hochgeschwindigkeitstaxifahrer, der die Strecke zwischen Inlandsflughafen und Buenos Aires International in Rekordzeit zurücklegt.