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#06 Über Stock und Stein

Wir halten Kurs auf den Nevado Alpamayo in der Cordillera Blanca. Auf der Panamericana aus dem Norden kommend haben wir zwei Möglichkeiten von der Küste an den Gebirgszug Cordillera Blanca zu gelangen. Einen kurzen Weg von etwa 150 km mit 80 km Schotterpiste oder einen langen geteerten Umweg von 350 km. Abenteuerlustig entscheiden wir uns für den kurzen Weg, zumal dieser entlang dem Rio Santa eine abwechslungsreiche Landschaft verspricht.

In Santa, an der Mündung des Rio Santa verlassen wir die Panamericana und fahren gen Osten.

Immer am Fluß entlang rollen wir auf guter Strasse durch ein fruchtbares Tal mit vielfältiger Landwirtschaft. Ganz allmählich wird das Tal enger und die fruchtbaren Felder weichen harten Felsen. Nach 60 km gemütlicher Fahrt kommen wir Mittags in Chuquicara an. Das kleine Dorf ist letzte Versorgungsstation vor der Schotterpiste. In der brennenden Sonne bieten Campesinas ihre Ware feil. Am Ende des Dorfes fängt die Piste an, doch diese ist mit einem Schlagbaum versperrt. Daneben ist eine kleine Polizeistation. Nachdem wir dem freundlichen Polizisten Auskunft gegeben haben woher wir kommen und wohin wir wollen öffnet sich der Schlagbaum.

 Nun beginnt die Schüttelei. Ich versuche auf dem Schotterfelsgrund eine Spur zu finden, doch je mehr ich mich mühe vorsichtig zu fahren desto mehr schüttelt und bockt der Bus wie in schwerer See. Alles ächst im Metallgebälk. Wir auch. Es gibt tiefe Spurrinnen, von Bussen und LKWs gefräst. Der steinübersäte Hügel in der Mitte bedroht immer wieder unsere Bodenfreiheit. Besser randwärts fahren, wie auf zerfaserten Schienen. Wir pendeln uns auf 10 km/h ein, fliegend überholt von anderen Fahrzeugen, selbst PKWs.  Was für eine Erfahrung für uns teerverwöhnte Bundesbürger. Experimentierend versuche ich einen Fahrstil zu finden der Mensch und Material möglichst schont, als mein prüfender Blick auf die Temperaturanzeige fällt.

Die Nadel bewegt sich zum ersten Mal über die Mitte hinaus. Der Motor kocht!

Wir halten bevor die rote Zone erreicht wird und lassen ihn lange abkühlen. Kühlwasserstand und der Antriebsriemen für den Ventilator sind in Ordnung also fahren wir weiter. Doch nach ein paar Kilometern geht die Nadel wieder Richtung rot und wir halten an einem verlassenen Restaurant (S8.69319 W78.17311).

 Da es spät ist entscheiden wir zu kampieren. Neben uns rauscht der Rio Santa durch sein Flußbett und wir genießen den Anblick der Berge um uns herum. Die Sonne geht hier früh unter und da Neumond ist spannt sich ein Sternenhimmel über uns wie wir ihn zuvor auf dieser Reise noch nicht gesehen haben. Deutlich zeichnet sich die Milchstrasse mit allen Nuancen ab.

 Am nächsten Morgen unternehmen wir einen weiteren Versuch talaufwärts zu fahren, doch der Motor überhitzt wieder nach wenigen Kilometern. Wir drehen um und fahren zur Küste nach Chimbote. Dort soll es genug Werkstätten geben. Talabwärts überhitzt der Motor auf der Piste nicht, was uns wundert, denn die Steigung Talaufwärts ist durch den Rio Santa sehr gering.

 Über die Ursache rätselnd ziehen wir in ein Hostal bei Chimbote ein (S9.05670 W78.59022). Am nächsten Vormittag führt uns unser hilfsbereiter Hostaleigentümer in die "Strasse der Werkstätten" von Chimbote.

 Ich rangiere den Bus in den Hinterhof einer "open air Werkstatt". Der lehmgestampfte Boden ist durchtränkt von allen Flüssigkeiten die sich in einem Auto befinden. Nicht nur die Mechaniker sind ölverschmiert auch die Werkstatthunde. Bitte Hund nicht mit Putzlappen verwechseln! Putzlappen könnte knurren. Nach einigem Fachsimpeln stellt ein Mechaniker die Zündung nach Gehör neu ein. Das solls sein. Wie prüfen? Eine Testfahrt in Chimbote fordert den Motor leider zu wenig. Trotzdem glaube ich zu fühlen, dass der Motor besser zieht. Sicherheitshalber pusten wir den Luftfilter nochmal kräftig aus und befreien ihn von einer dicken Staubschicht. Mit extraviel Proviant machen wir uns wieder auf ins Tal des Rio Santa.

 Klaglos surrt der Motor und der Bus trägt uns verlässlich bis Chuquicara wo wir nachmittags ankommen. Nun wird es spannend! Es geht wieder auf die Piste. Jedes Zucken der Temperaturnadel wird trotz Schüttelei mit Argusaugen beobachtet. Mittlerweile habe ich einen Sinn für die Geschwindigkeit mit der die Nadel steigt oder sinkt. Doch es passiert was passieren muss! Die Temperatur steigt schnell. Enttäuscht drehen wir nach wenigen Kilometern um und halten. Während wir beratschlagen sinkt die Temperatur ungewöhnlich schnell. Dies gibt uns den Mut doch wieder bis zu unserem letzten Campingplatz unter dem Sternenhimmel weiter zu fahren. Wir vermuten, dass die Sonnenhitze in der Schlucht das Quentchen zuviel für den Motor ist und starten nächsten Morgen beim ersten Licht mit der Kühle der Nacht.

 Unser Mut wird belohnt mit einer Tour durch eine herrliche Schluchtenlandschaft. Ohne Rücksicht auf Mensch und Material fahre ich mit extrem hoher Geschwindigkeit von fast 20 km/h (also wie die Einheimischen) damit der Motor auch ein wenig Fahrtwind zu spüren bekommt. Manchmal heben die Hintereifen ab und beim Aufsetzen springen wir förmlich über die Hindernisse. Nach 2 Stunden erlauben wir uns ein Frühstück an einem Wasserfall.

 Da unsere Taktik aufgeht haben wir auch wieder ein Auge für die Schlucht durch die wir reisen. Mal rücken die hohen Wände ganz nah an uns heran und wir bewundern die unglaublich mächtigen, senkrecht gefalteten Gesteinsschichten. Dann weichen die Wände wieder ein wenig zurück. Ein ständiger Begleiter ist der Staub. Besonders wenn ein Überlandbus uns passiert. Dann heisst es schnell die Fenster hochkurbeln. Übrigens kommt man in peruanischen Bussen immer mit. Auf dem Dach zwischen den Hühnern ist stetz Platz. Nur gut festhalten und Kopf runter wenn ein Tunnel kommt.

 Die Schlucht ist nicht unbewohnt. Neben kleinen Feldern überraschen uns Kohleflöße die an den Flanken offen zu Tage treten. Diese werden von Kleinstunternehmen abgebaut. Auch fahren wir an einer verfallenen kleinen Industriestadt vorbei. Vermutlich wurde vor langer Zeit versucht die Berge systematisch auszubeuten und dafür die Piste, wohl als Eisenbahntrasse, angelegt.

 Gegen Mittag schrauben wir uns über Serpentinen hoch zum Dorf Yuracmarca. Diese Anstrengung in der größten Wärme sorgt für eine Zwangspause. Doch nicht nur der Motor braucht eine Abkühlung, auch wir steigen mit schwankenden Knien aus und erholen uns ein wenig von unserer Seekrankheit verursacht durch die viele Schaukelei. Nach der Verschnaufpause kommen wir gut weiter bis Huallanca. Hier schrauben wir uns zu einem weiteren landschaftlichen Höhepunkt hoch.

 Wir fahren in den Canon del Pato (Entenschlucht). Die Piste ist in die Schluchtwand hineingesprengt. Unter uns geht es wohl 300m in die Tiefe, über uns erhebt sich die Wand für weitere 300 Meter. Gegenüber stürzen 500m hohe Wasserfälle in mehreren Stufen herab. Tunnel folgt auf Tunnel. Alle einspurig, ohne Beleuchtung und von 10m bis 200m Länge. Vor jedem und vor allem in jedem Tunnel heist es kräftig hupen um den Gegenverkehr zu informieren. Manchmal steht der Feinsstaub in einem Tunnel und man kann sich nur vorsichtig vorantasten weil man die Hand vor Augen nicht sieht. Nach 36 Tunnel öffnet sich die Schlucht zum Tal und die Piste wird zur Asphaltstrasse. Was für eine Ruhe nach 80 km Schüttelei! Ich steige aus und mache einen Kniefall...

 Wir rollen weiter und finden kurz vor Yungay ein Familienrestaurant mit einer Oase von Garten (S9.13422 W77.75185).

Hier, inmitten von Calas, Kolibris, Puschelhühnern, Enten, Hunden und der Sicht auf schneebedeckte Gipfel, erholen wir uns für zwei Tage von der Schüttelei und lassen die landschaftlichen Eindrücke der Tour reifen.

 Nun sind wir endlich angekommen. Im Tal zwischen den Gebirgszügen Cordillera Blanca und Cordillera Negra. Nicht weit vom Alpamayo.